Leichte bis mittelschwere Kletterei in Tirol

Genussklettern an der Fleischbank

St. Johann in Tirol hat viel zu bieten: tolle Wege für Bergwanderer mit spektakulären Einblicken in die Welt des Wilden Kaiser, vor allem aber viele spannende Kletterrouten. Zum Beispiel an der Fleischbank.
 
Am oberen Quergang der Dülfer-Führe in der Fleischbank-Ostwand © Markus Stadler
Am oberen Quergang der Dülfer-Führe in der Fleischbank-Ostwand
Ellmauer Halt, Goinger Halt, Karlspitzen – es ist nicht leicht aufzufallen, umgeben von mehr als 40 Gipfeln, die gotisch markant in den Tiroler Himmel ragen. Irgendwie ist man schnell nur einer von vielen im Wilden Kaiser. So hätte es auch der Fleischbank gehen können: Mit 2186 Metern nicht übermäßig hoch, nicht wirklich exponiert. Doch wenn ihr Name fällt, reiben sich Kletterer die geschundenen Hände, bekommen Alpinhistoriker glänzende Augen. Denn dieses Wort (besonders in Kombination mit »Ostwand«) steht für edelsten Wettersteinkalk, bis zu 350 Meter lange Wände und tragische wie herausragende Geschichten, die noch heute unten im Tal oder in der Stube des Stripsenjochhauses erzählt werden.

Etwa die von Hans Dülfer und Werner Schaarschmidt, die 1912 nach vielen Versuchen die Erstbegehung der Ostwand für sich verbuchen durften. Oder die von Roland Rossi und Fritz Wießner, die 1925 drei Tage lang unter schwierigsten Bedingungen um die Erstbegehung der Südostwand kämpften, die heute in unter zwei Stunden geklettert wird. Oder vom tragischen Tod Josef Scheidlers, der im selben Jahr gemeinsam mit Toni Leiß um die Erstbegehung kämpfte, sich ausband, um dem vorsteigenden Partner das benötigte Seil bis zum Stand zu geben und abstürzte. Es sind Geschichten von damals, als die Fleischbank noch als unlösbares Problem galt.

Des Kaisers neue Kleider

Aber schon bald kommen auch die neueren Anekdoten zum Tragen: Etwa die von Helmut Kiene und Reinhard Karl, die 1977 am Fleischbankpfeiler mit den »Pumprissen« Alpingeschichte schrieben. Sie sprengten die Schwierigkeitsskala und kletterten zum ersten Mal den VII. Grad. Und natürlich die Geschichte von Stefan Glowacz, der 1993 mit »Des Kaisers neue Kleider« (X+) eine der schwersten Routen im Alpenraum eröffnete. Wer jene Geschichten kennt und selbst zum Beispiel vom Predigtstuhl auf diese senkrechte Wand blickt, wenn man an ihrem Fuße in der Steinernen Rinne steht, den Kopf weit in den Nacken legend, um die Überhänge und Platten der Ostwand auch nur optisch erfassen zu können, dann versteht man, warum Einheimische vom »Gustostückerl« sprechen und Kletterer in Scharen zur Fleischbank pilgern. »Es ist sicherlich auch die Vielseitigkeit der Wände, die die Faszination Fleischbank ausmacht«, glaubt Thomas Rabl, Bergführer aus St. Johann. »Am Fleischbankpfeiler finden sich nach wie vor die schwierigsten Routen im Kaisergebirge, die wenig begangen werden. Dem gegenüber ist etwa die Via Classica an der Nordwand eine ausgesprochen beliebte Route.«

Kletterrouten an der Fleischbank

Fleischbank (2026 m) über Nordgrat

Schwierigkeit: max. III
Dauer: 4 Std.
Höhendifferenz: ↗1300 Hm, ↘1300 Hm
Charakter: Einfacher, aber herrlicher Weg auf die Fleischbank. Im unteren Teil max. III, ansonsten leichtes (Geh-)Gelände. Tolle Gratkletterei im letzten Abschnitt.
Route: Vom Stripsenjochhaus Zustieg Richtung Ellmauer Tor – Eggersteig – unter der Wand rechts bis Rinne – ca. 60 Meter Rinne – Absatz – kurz vor Gratkante Rinne – rechts queren – leichteres Gelände – Rampe Steilaufschwung – Rinne – Grat

Fleischbank-Ostwand, Dülfer-Führe

Schwierigkeit: max. VI
Dauer: 4–6 Std.
Höhendifferenz500 Hm, ↘500 Hm
Charakter: Diesen Klassiker muss man mal gemacht haben. Abwechslungsreiche Route in durchwegs festem Fels, leider teilweise etwas abgespeckt. Meist V, häufig auch leichter, zwei Stellen VI, mehrmals VI
Einstieg: Über den Eggersteig durch die Steinerne Rinne bis zu markanter Notrufsäule unterhalb des Ellmauer Tores, dort Einstieg bei einem horizontalen Band, das sich in die Ostwand hineinzieht; am Ende des Bandes beginnt die eigentliche Route.

Fleischbank-Nordgratabbruch, »Via Classica«

Schwierigkeit: max. V
Dauer: 4–6 Std.
Höhendifferenz600–800 Hm, ↘600-800 Hm
Charakter: 15 SL (2 SL V, sonst V- und IV); lange, alpine Plaisirroute in bestem Fels. Alle notwendigen Bohrhaken vorhanden, ein Satz Stopper und Bandschlingen empfehlenswert. Steinschlaggefahr von weiter oben kletternden Seilschaften
Route: Aus dem Wildanger über Steigspuren zum Einstieg knapp links der Schlucht, die ins Schneeloch hinaufzieht – 7 SL links der Schlucht über Risse und Verschneidungen bis zur ersten Grasterrasse (Fluchtmöglichkeit zum N-Grat) – 4 SL durch markante Schichtkaminreihe (Schlüsselsseillängen) zur zweiten Grasterrasse (Fluchtmöglichkeit zum N-Grat) – 2 SL zur dritten Grasterrasse – 200 Hm über N-Grat zum Gipfel oder gleich über den Nordgrat absteigen

Weitere Klettergebiete
 
Nina Hölmer
Fotos: 
TVB St. Johann/Franz Gerdl
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 06/2015. Jetzt abonnieren!
 
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