Bergwanderschuhe im Test | BERGSTEIGER Magazin
Im BERGSTEIGER Test: Bergwanderschuhe

Bergwanderschuhe im Test

Wie viel Freiheit braucht ein Zeh? Welches Profil verleiht einen sicheren Tritt und was bewirkt ein Soll-Knick? Wir verraten Ihnen, worauf es bei halbhohen Bergwanderschuhen ankommt.
(Aus BERGSTEIGER 09/2012)
 
Im BERGSTEIGER Test 09/2012: Bergwanderschuhe © Bernd Ritschel
Im BERGSTEIGER Test 09/2012: Bergwanderschuhe
Wer will schon mehr Gewicht am Fuß hängen haben als nötig? Bei dieser Marktübersicht beschränken wir uns daher auf halbhohe Wanderschuhe (neudeutsch Hiking- oder leichte Trekkingschuhe), die zwischen 1280 Gramm und gut 1500 Gramm pro Paar wiegen (Hanwag 1560 g; jeweils bei Größe 10½ (UK), entspricht 451/3). Doch auch wenn man sich auf diese Modelle beschränkt, gibt es noch große Unterschiede: Während Garmont, La Sportiva und Meindl eher als »Trekkingschuhe« für anspruchsvollere Bergtouren bzw. Weitwanderungen durchgehen, zählen die Ultraleichtschuhe Boreal, Mammut und Patagonia (1050 g) eher zu den »Speedhikern« für sportlichere Wanderer. Mit M, MS oder Men gekennzeichnete Schuhe gibt es statt in Unisex auch als Damenvariante.

Obermaterial und Verstärkungen der Bergschuhe

Die meisten vorgestellten Schuhe bestehen aus robustem Leder, normalerweise kombiniert mit weicherem und leichterem Textil (heute meist Grob-Nylon) für größere Beweglichkeit an der Manschette (Beinteil) und optimale Anpassung der Zunge. Obwohl bereits recht abriebfest besitzen die Schuhe im Zehen- und Fersenbereich »Kappen«-Aufsätze aus Gummi oder gummiertem Leder. Vorne sollte dieser Abrieb- und Schlagschutz für felsige Wege nicht nur besonders stabil sein, sondern auch ein Stück auf die Oberseite der Zehen hochgezogen und bis zum Ballen hintergezogen sein (Salewa innen höher gezogen). An der Ferse reicht eine Lederverstärkung (Garmont, Lowa); einige Schuhe haben einen leichten Randschutz (Salewa Kevlar, z. B. Scarpa Leder). Immer beliebter sind bei Leichtschuhen seitliche Kunststoffgitter (Northland; bei Mammut Leder) als Formstabilisierung und Abriebschutz. Der reine Textilschuh von Boreal ist trotzdem nichts für felsige Steige.

Manschette der getesten Wanderschuhe

Der Schaft bezeichnet den Schuhaufbau über der Sohle; die Manschette ist der Teil ab dem Beinansatz im Knöchel. Sie soll die Knöchel schützen und das Fußgelenk seitlich stabilisieren. Zudem soll sie dem Bein Bewegungsfreiheit in alle Richtungen ermöglichen. Die Höhe der Manschette ist für die Stabilisierung weniger wichtig als ihre Steifigkeit. Auf Wegen ist eher Bewegungsfreiheit gefragt (Boreal, Mammut, La Sportiva, Scarpa), im Gelände eher Stützung (Meindl, Jack Wolfskin; Garmont, Lowa flexibler). Damit die Manschette beim Abstieg nicht behindert, ist sie hinten üblicherweise um rund fünf Zentimeter niedriger als vorne bei der Schnürung. Höhere Abschlüsse gibt es bei Trekkingschuhen oder Schuhen mit alpinerem Anspruch (Meindl 18 cm bzw. Garmont 17 cm). Der Abschluss der Manschette sollte weich sein und besteht meist aus schweißabsorbierendem Mesh- oder Porentextil. Zum besseren Einstieg besitzen einige Schuhe hinten Zugschlaufen. Damit lassen sie sich zudem an den Klettergurt hängen (vor allem Salewa).

Futter in Bergschuhen

In den kühlen und regnerischen Nordalpen sind Schuhe aus wasserdicht-atmungsaktivem Membranlaminat Standard. Allerdings ist es mit der Atmungsaktivität bei dickem Stoff-Innenfutter, Membranlage und robustem Leder-Obermaterial nicht allzu weit her (außer Textilschuh Boreal). Gore-Tex liefert das Standardfutter Performance Comfort Footwear (Salewa eigenes Innentextil; Boreal Sympatex, Northland Exotherm). Der extrem dampfdurchlässige Leder/Textil-Schuh von Patagonia (innen Mesh) und der absorbierende Volllederschuh von Hanwag (innen Weichleder) besitzen keine Membran; dennoch lässt Hanwag nur an den Nähten Feuchtigkeit durch. Am Schaft ist das Futtertextil immer mit einem Schaumstoff versehen, der Schweiß absorbiert und sich an den Knöchel anpasst. Dünner Schaumstoff am Vorderfuß erhöht zwar den Anpassungskomfort, ist aber im Hochsommer zu warm (Northland).

Schnürungstyp

Die klassische Schnürung aus Ösen bis zum Rist und Haken am Schaft ist bei Wanderschuhen immer noch Standard. Gute Wanderschuhe besitzen dazwischen Tiefzughaken oder -schlaufen (um den Schuh fest an die Ferse zu drücken), die leider nicht immer die Schnürung zwischenfixieren. Die Ösen sind heute leichtgängiger oder durch Textilschlaufen ersetzt. Diese lassen sich entweder in einem Zug fixieren oder sorgen durch stückweises Anziehen mit semifixierender Wirkung im Fußbereich für eine optimal verteilte Anpassung. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Schnürung bis über die Zehen verläuft (Garmont, Salewa, La Sportiva). Bei Boreal dagegen muss der Schuh von vornherein sitzen, da die Schnürung nicht einmal den Ballen erreicht.

Sohlenhärte und Profil

Die Sohle der vorgestellten Wanderschuhe ist auch seitlich relativ steif bis bretthart (nur Northland, Hanwag, Mammut mittelhart). Dadurch stützen sie auch auf unwegsamen Steigen oder im Gelände den Mittelfuß und bieten relativ sicheren Seitenhalt. Für rundes Abrollen beim Gehen und im Aufstieg ist der Vorderfuß mehr oder weniger aufgebogen und flexibler. Gelände- und felstaugliche Schuhe besitzen einen Soll-Knick vor dem eher geraden Zehenbereich (Salewa optimal) und ermöglichen so einen exakteren Antritt. Eine deutliche Abrundung an der Ferse verbessert das Abrollen beim Abstieg (Jack Wolfskin, Northland, Hanwag). Einen ausgeprägten Pro- und Supinationsschutz gegen seitliches Umknicken bieten Scarpa, Mammut, Jack Wolfskin. Das Profil eines Bergwanderschuhs sollte mitteltief (4 bis 6 mm) und griffig sein, um auch auf Matsch oder Geröll guten Halt zu bieten. Noppenprofile aller Art sind zwar gut für erdige Wege oder Wiesen (Griff, Antidreck), aber weniger geeignet auf Fels oder an Steilhängen. Für unproblematische Wege reichen drei Millimeter (Speedhiker Mammut, Boreal; auch Lowa) oder weniger kantige Profile (Hanwag; Salewa auch für Fels) aus. Diese Sohlen haben den Vorteil, wenig Dreck anzulagern – im Gegensatz zu den supergriffigen Profilen von Meindl und La Sportiva (wechselnd tief, 5–7 mm), noch dazu mit hohem Profilabsatz (ab 10 mm).

Einlage und Fußraum

Einlagen mit ergonomischer Formgebung, d. h. stark aufgewölbter Innenseite (Scarpa, La Sportiva; Northland mit Vorlage) oder Seitenstabilität, sind eher für Bergsteiger mit Fußschwächen sinnvoll. Standard ist eine schwach geformte, schweißabsorbierende Einlage aus Textiloberfläche, Absorptionslage und robuster, teils dämpfender Antirutschunterlage (geschlossener Schaumstoff; bei Salewa abklettbar). Letztere ist immer öfter zur Dampfableitung vorne gelocht. Effektiver atmend und ideal an wärmeren Tagen sind Einlagen mit durchbrochenem Schaumstoff (Mammut; Jack Wolfskin vorn; Boreal multifunktionell) oder formstabiler Textilunterlage (Meindl, La Sportiva; Lowa mit Lederoberfläche; Garmont Schaumstoff). Komfortable Wanderschuhe sollten den Zehen viel Raum bieten. Die meisten sind aber schlichtweg etwas breiter geschnitten (Hanwag, Scarpa, La Sportiva) oder haben sogar insgesamt ein größeres Volumen wie Meindl, Patagonia; Northland mit besonders luftigem Zehenbereich. Letztere sind kaum geländetauglich. Eng anpassbare Schuhe haben in der Regel einen besseren Sitz am Fuß ohne wesentlichen Komfortverlust (Mammut optimal; Salewa evtl. kleiner Zeh spürbar) und schmalere Schuhe einen besseren Seitenhalt (Lowa, Jack Wolfskin).

Hier den kompletten Testbericht Bergwanderschuhe herunterladen
Christian Schneeweiß
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 09/2012. Jetzt abonnieren!
 
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