Trekking am Ende der Welt

Auf dem Kepler Track durch Neuseeland

Der Kepler Track führt an zwei der größten Seen der Südinsel Neuseelands vorbei. Sonnenstunden sollte man hier stets nutzen – Regen, Wind und Schnee kommen oft schneller, als man denkt.
Von Lisa Kügel (Text und Bilder)
 
Wenn das Wetter es zulässt, genießt man Rundum- Sicht vom Grat © Lisa Kügel
Wenn das Wetter es zulässt, genießt man Rundum- Sicht vom Grat
Ranger Boyd kann es nicht lassen. »Ich hab‘ gehört, es sind Aussies hier, da muss ich wohl langsamer sprechen«, eröffnet der hagere Neuseeländer die »Hut Talk Time«, seine tägliche Ansprache an heute gut 50 Wanderer aus Japan, China, USA, Israel, Dänemark, Deutschland, Neuseeland – und Australien. Beifälliges Gelächter mischt sich in das Trommeln des Regens auf das Wellblechdach der Berghütte. Boyd wartet noch etwas, bevor er wieder das Wort ergreift. Zunächst kostet er seinen Gesprächseinstieg auf Kosten der Landesnachbarn noch etwas aus. Während er weiterspricht, schlucken die Wolken aus dem Tal auch das letzte verbleibende Licht des Tages. Auch über die Gesichter seiner Zuhörer scheint sich mehr und mehr ein Schleier zu legen. Kein Wunder, für viele von ihnen war die gerade absolvierte Etappe des Kepler-Tracks im Fiordland Nationalpark Auftakt zu einer drei- bis viertägigen Wanderung durch die kaum besiedelte Region auf der Südinsel.

Trekking im grünen Paradies Neuseeland

Wanderkarte Kepler Track NeuseelandDer Kepler Track ist ganz sicher keine schlechte Wahl – ist er doch einer der »Great Walks« und wird, wie jede dieser neun Wanderungen, die das staatliche Department of Conservation (DOC) betreut und touristisch vermarktet, penibel gepflegt. Der Weg bietet Gelegenheit, sich ein eigenes Bild vom so genannten grünen Paradies am anderen Ende der Welt zu machen. Schafe, Farn und Kiwis so weit das Auge reicht, zungenbleckende Maori-Krieger, Gastfreundlichkeit, ein lässiger Lebensstil und verwunschene Hobbit-Welten – sind das Klischees oder Tatsachen? Zumindest Kiwis gibt es tatsächlich allerorts. Die Bezeichnung meint nicht nur die Frucht und den ebenso runden, seltenen Vogel, sondern auch die Bewohner Neuseelands.

Die Sache mit der Gastfreundschaft ist nicht ganz so einfach aufzuklären: Tatsächlich begegnet man Touristen hier mit einer besonderen Neugier und Offenheit. Wenn allerdings die Erzfeinde im Nationalsport Rugby, Neuseeländer und Australier, aufeinandertreffen, wird aus Freundlichkeit schnell Frotzelei. Boyd ist da das beste Beispiel.

Am nächsten Morgen leuchtet der Himmel blau. Wie ein Fjord liegt der südliche Arm des Sees Te Anau im Tal. Dicht bewaldet steigen aus dem Wasser die Murchison Mountains auf, geschmückt mit einer Schneehaube und einem Band aus Schäfchenwolken. Mehr Schaf wird es auch die übrigen vier Tage nicht zu sehen geben. Auch wenn das für den Rest der merino-gesprenkelten Southern Alps nicht zutrifft – in Fiordland gibt es tatsächlich weniger Schafe als Einwohner. Stattdessen empfängt uns ein blau-grünes Farbenspiel mit einem Tupfer tussock-gelb und weißer Krone – mystisch, wild, wie im Werbeprospekt. Die Sonne erhebt sich über dem See, doch schon im nächsten Augenblick ist alle Aussicht dahin, die Nebelwand dichter denn je. Auf dem Weg zum höchsten Punkt des Tracks setzt erst Schneeregen ein, dann Hagel. Ohne Pause prasseln die Körner gegen die talzugewandte Körperseite, Oberschenkel und Gesichter werden eisig. Mit dem Abstieg erwärmt sich die Luft, der Weg führt ins Tal des Flusses Iris Burn und den Schutz des Bergwaldes. Rinnsale aus Regenwasser verschwinden glitzernd im Gebüsch und tauchen als kleine Wasserfälle neben dem Weg wieder auf. Den Boden bedecken Farne in reingewaschenem Grün.

Neuseeland - Land der weißen Wolken

Unten liegt die Iris Burn Hut, Ziel der zweiten Etappe des Kepler-Tracks. In der Dämmerung kann man hier mit etwas Glück den Schrei des nachtaktiven Kiwi-Vogels hören. Die nächste Tagesetappe zur Moturau Hut führt durch den blank gewaschenen Wald und über mehrere Bäche zum Iris Burn, der sich frühzeitig durch lauter werdendes Rauschen ankündigt. Hier bündeln sich die Wassermassen und ergießen sich in den Lake Manapouri, der weit wie ein Meer im Blickfeld auftaucht. Die letzte Station auf dem Kepler liegt direkt am sandigen Ufer des Sees. Pünktlich zum Aufbruch zur letzten Etappe beginnt der Regen auf die Kapuze zu trommeln. Ein Holzsteg führt über eine sumpfige, von gelb-braunen Binsen bewachsene Lichtung im Wald. Wetlands nennen die Kiwis die Landschaft. Der Schauplatz für die Todessümpfe im Herrn der Ringe, sagt die Broschüre. Kein Regenbogen in Sicht. Dafür aber der Bus, der zurück zum Parkplatz am Lake Te Anau fährt. Schmutziges Wasser spritzt vom Weg zu den Fenstern hinauf, draußen hängt der Nebel tief im Tal. Unweigerlich kommt einem der Ausdruck »Aotearoa, Land der langen weißen Wolke« in den Sinn. Kein Klischee, keine Marketing-Kampagne, sondern der Name, den die Maori den beiden Inseln Neuseelands bei ihrer Ankunft gaben.

Auf dem Kepler Track quer durch den Fjordland Nationalpark

Charakter/Schwierigkeiten: Der Keppler Track verläuft zwischen 180 und 1400 Metern und weist einen alpinen Abschnitt auf. Er gilt als mittelschwer. Der Gratweg der zweiten Etappe ist stellenweise ausgesetzt, Vorsicht bei starkem Wind!
Erforderliche Ausrüstung: Stöcke, feste Wanderschuhe und evtl. Gamaschen. Wer den Weg im Winter gehen möchte, sollte Steigeisen mitnehmen.
Wegverlauf: Vom Kepler Track Car Park führt der Weg entlang des Lake Te Anau zum Zeltplatz Broad Bay Campsite (5,6 km). Dort beginnt der Anstieg zur Luxmore Hut (8,2 km). Der zweite Tag verspricht einen Abstecher auf den Mount Luxmore (1471 m) und eine aussichtsreiche Gratwanderung, bevor es talwärts zur Iris Burn Hut mit Campsite geht (14,6). An Tag 3 folgt der Track ohne größere Steigungen dem Fluss Iris Burn zu dessen Mündung in den Lake Manapouri und führt zur Moturau Hut (16,2 km). Von dort wandert man durch Wald und Wetlands zum Rainbow Reach car park (6 km, dort Shuttlebus) oder beendet die Runde am Kepler Track car park (weitere 9,5 km).
Übernachtung: Die Hütten müssen lange im Voraus gebucht werden. Buchung und Informationen unter www.doc.govt.nz
Einreisebestimmungen: Für einen Aufenthalt bis zu drei Monaten ist kein Visum notwendig. Man benötigt allerdings einen Reisepass, der drei Monate über das Ende des Aufenthalts hinaus gültig ist. Wichtig: Die Einfuhr aller tierischen und pflanzlichen Nahrungsmittel sowie unverarbeiteten tierischen Produkte ist streng verboten. Trekking-Ausrüstung sollte penibel gesäubert werden. Wer dies versäumt, riskiert eine Reinigung durch das Flughafenpersonal und somit komplett durchnässte Wanderschuhe.
Beste Reisezeit: November bis April
Karte: Das DOC (Department of Conservation) gibt kostenlose Broschüren heraus, die Wegverlauf, Höhenprofil, Karte und wichtige Telefonnummern enthalten. Die Karte »Kepler Track Parkmap 335–09«, Maßstab 1:60 000, ist beim DOC Visitor Centre in Te Anau erhältlich.
Literatur: Dietrich Höllhuber »Neuseeland«, Michael Müller Verlag, 4. Auflage 2015
Lisa Kügel
 
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