Klettersteig-Paradies Schiara | BERGSTEIGER Magazin
Klettersteige in den Dolomiten

Klettersteig-Paradies Schiara

Fünf Klettersteige auf engstem Raum hat das Schiara-Massiv im Hinterland von Belluno zu bieten. Wer auf dem Rifugio 7° Alpini, der einzigen bewirtschafteten Hütte, übernachtet, kann alle fünf Ferrate kombinieren und wird am Südrand der Alpen ein Klettersteig-Abenteuer in wilder Landschaft erleben.

 
Sonnenuntergang am Bivacco Bernardina mit der bizarren Felsnadel »Gusela del Vescovà« - Foto: Manfred Kostner © Manfred Kostner
Sonnenuntergang am Bivacco Bernardina mit der bizarren Felsnadel »Gusela del Vescovà«
Wenn man an Klettersteige in den Dolomiten denkt, fallen einem sofort die berühmten Kletterberge Sella, Marmolada, Civetta und Tofana ein und manche ordnen fälschlicherweise noch die Brenta den Dolomiten zu, bevor sie bei der Schiara landen. Der südlichste Dolomitenausläufer mit den kantigen Graten und den freistehenden Türmchen ist ein perfektes Dorado für Ferratisti; selten findet man so viele Steiganlagen auf engstem Raum. Trotzdem trifft man in diesem Gebiet nur selten auf deutschsprachige Bergsteiger – was auch so mancher, der sich doch dorthin verirrt, hoch zu schätzen weiß; hat man doch in diesem Mix aus mediterranem Flair und wilder Dolomiten-Landschaft ein ganz besonderes Urlaubsgefühl!

Bei der Anfahrt kommen aber erstmals Zweifel an der Qualität des Gebiets auf, zu weit ist man bereits in der heißen, flachen Ebene mit dem nicht gerade hübschen Städtchen Belluno und zu fern sind die hohen Dolomitenberge. Auf dem kleinen Wanderparkplatz beim Weiler Case Bortot hat sich das Gefühl eher verschlimmert – dort, so abgeschieden und nahe bei Belluno, soll ich mein Auto zwei Tage zurücklassen, – und wo sind die Felswände? Widerwillig machen wir uns bereit für den Hüttenzustieg, der sich entlang des Baches – anfangs auf teilweise ausgesetztem Pfad, dann direkt am Bach – durch dichten Laubwald zum Rifugio 7° Alpini schlängelt. Erst nach zweieinhalb Stunden ändert sich das Bild schlagartig, denn unmittelbar vor der Hütte lichtet sich plötzlich der buschähnliche Wald und man steht mitten im mächtigen Bergkessel unter dem Monte Schiara. Alle Zweifel sind nun wie weggeblasen und Ehrfurcht macht sich breit, vor dem, was in den nächsten Tagen auf dem Programm steht.

Drei Klettersteige an einem Tag in den Dolomiten

Die fünf Klettersteige auf engstem Raum, mit drei Biwakschachteln an den neuralgischen Punkten, lassen sich – mit etwas geschickter Planung – an einem Wochenende gut miteinander verbinden, wobei man sich vor dem Schlafengehen schon etwas auf den nächsten Tag einstimmen kann. Dem Vino Rosso sollte man – vor allem, wenn man im Stockbett oben schläft – nicht allzu sehr frönen, denn der Aufstieg in die hohen, dreistö­ckigen Eisenbetten hat die Klettersteigschwierigkeit C (K 3) und ist tückisch. Zu später Stunde ist dies nicht zu unterschätzen, ganz zu schweigen von den nächtlichen Notabstiegen (zum Klo). Davor wird noch die Routenfolge der nächsten zwei Tage festgelegt: Sperti – Berti – Marmol oder Zacchi – Marmol? Und was ist mit dem Sentiero attrezzato Marino Guardiano auf den Monte Pelf? Wir entscheiden, morgen mit der Runde Sperti – Berti – Marmol zu starten, am zweiten Tag über Zacchi – Berti – Sentiero Marino Guardiano auf den Monte Pelf zu steigen und von dort direkt über das Bivacco Medassa ins Tal abzusteigen. Zwar ist der kurze Verbindungssteig Berti an beiden Tagen auf dem Programm, was wir beim Frühstück anfangs noch dem Vino Rosso zuschreiben, was  sich später aber als einzig sinnvolle Kombination entpuppt.  

Gemütlich queren wir hinauf zum Einstieg der Ferrata Sperti, dem wildesten und längsten Schiara-Steig. Die ersten 200 Höhenmeter lassen dies aber noch nicht erkennen und leiten in mäßiger Schwierigkeit bis maximal B hinauf auf die Grasterrasse mit einem roten Blechkasten, dem Bivacco Sperti. Dort genießen wir die bereits großartige Aussicht und folgen dem gestuften Grat mit der klettertechnisch schwersten Stelle (B/C) zur ersten Schlucht, überqueren diese nach links zur wilden Hauptschlucht, durch die der Steig in direkter Linie über Blöcke und Leitern zur Forcella Sperti hinaufzieht. Dort wechseln wir die Bergseite und klettern in einem steten Auf und Ab zur Forcella della Gusela, in der die gleichnamige imposante Felsnadel das Auge – und das Kameraobjektiv auf sich zieht.

Blick zur Adria vom Monte Schiara

In der Forcella della Gusela steht auch das Bivacco Bernardina. Dort treffen wir auf zwei schweißgebadete Ferrata-Zacchi-Bezwinger aus Italien, die von dem steilen Schlusspfeiler schwärmen. Gemeinsam, fast froh auch auf andere Bergsteiger gestoßen zu sein, machen wir uns auf den Weiterweg, über die Ferrata Berti zum höchsten Punkt der Schiaragruppe. Die Berti wurde vor 50 Jahren gemeinsam mit dem Biwak errichtet und ermöglicht seither auch dem Nichtkletterer die sichere Überschreitung des 2565 Meter hohen Monte Schiara. Schon nach wenigen Gehminuten stellt sich der Berg bereits steil auf und Leitern helfen uns zum höchsten Punkt, von dem wir hindernislos auf die beliebten Badeziele der Adria blicken. Im  Norden sticht die Civetta ins Auge und erinnert uns wieder daran, dass wir ja eigentlich in den Dolomiten sind. Der Abstieg zum Bivacco Marmol ist problemlos und braucht einzig bei dem plötzlich kurz vor dem Biwak auftauchenden Felsspalt etwas Aufmerksamkeit. Vom Biwak steigen wir die Ferrata Marmol ab, die 1966 als Entschärfung für den alten Abstieg von der Forcella Marmol durch den »Canalone« zum Rifugio 7° Alpini errichtet wurde, weil der alte Abstieg vielen Weitwanderern, die geschwächt vom nördlich liegenden Rifugio Pramperet kamen und vor der Schlucht standen, auf dem Dolomiten-Weg Nr. 1 zum Verhängnis wurde.

Als wir die gesicherten Passagen auf der großen Rampe und die Mühen danach hinter uns gebracht haben, sind unsere Gedanken bei den schwer bepackten Weitwanderern, denn ganz so »easy« sind die Stellen nicht. Nach knapp zwei Stunden sitzen wir wieder auf der Sonnenterrasse des Rifugio und genießen die Aussicht, verabschieden uns von den italienischen Freunden, die die kleine, sportlichere Runde Zacchi – Berti – Marmol als Eintagestour gemacht haben. Obwohl es Samstag ist, lassen sich die Hüttenbesucher an zwei Händen abzählen und wir trinken mit dem netten Hüttenwirt gemütlich ein Bier.

Am nächsten Tag sind wir schon in aller Früh Richtung Ferrata Zacchi unterwegs. Der Weg dorthin und die ersten Klettermeter sind uns bereits von gestern bekannt, da diese mit der Ferrata Marmol identisch sind. Auf einem kleinen Latschenabsatz nach der Einstiegswand trennen sich aber die beiden Steige und die Zacchi zeigt gleich mit der ersten Schlüsselstelle, einer senkrechten, nur mit einem Seil gesicherten Rinne, dass man in diesem Abschnitt etwas mehr auf Zack sein muss. Ein schöner, lang gezogener, vorgelagerter Gratrücken lädt danach noch einmal zum Verschnaufen ein, bevor sich die Wand senkrecht aufstellt. Der steile Schlusspfeiler, die zweite sehr luftige Schlüsselstelle ist gespickt mit Leitern und führt in einen kleinen Geröllkessel. Auf einem schmalen Band, welches uns wieder an die Bänder im Zentrum der Dolomiten erinnert, geht es zum Bivacco Bernardina. Das Wetter ist traumhaft, was laut Hüttenwirt aber keine Selbstverständlichkeit ist; denn nur allzu oft staut sich die feuchte Meeresluft an den ersten großen Erhebungen der Alpen, womit auch das vermeintliche Überangebot an Biwakschachteln gerechtfertigt erscheint.

Über die bereits bekannte Ferrata Berti gelangen wir in die Forcella Marmol, wo sich der Monte Pelf, unser nächstes Ziel, gleich senkrecht aufstellt. Geschickt leitet uns das Stahlseil durch die Schwachstellen dieser senkrechten Wand hinauf zum Grat, wo sich der Sentiero attrezzato Marino Guardiano gleich zurücklegt und dem Kamm über einige versicherte, aber leichte Felsstufen zum Gipfel folgt. Nach kurzer Rast steigen wir über den steilen, mit Edelweiß übersäten Wiesenrücken hinunter zur Forcella Pis Pilon, biegen kurz davor nach links zum Bivacco Medassa ab und tauchen bald wieder in den dichten Laubwald ein, der den alpinen Schiarakessel mit der mittelitalienischen Ebene verbindet. Beim Weiler Case Bortot angekommen ist unser Auto natürlich unversehrt, als hätte der Wald die ganze Zeit darauf aufgepasst.
 
Text: Andreas Jentzsch, Fotos: Manfred Kostner)
 
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