Adrenalin-versprechendes Erlebnis im Wallis

Erlebnisklettersteig Gemmiwand

Klettersteig ist nicht gleich Klettersteig. Nirgends zeigt sich das so deutlich wie an der Gemmiwand im Wallis. Denn dort sorgen Seilbrücken, Drehleitern und hängende Holzpflöcke für ein völlig neues Ferrata-Erlebnis.
Von Iris Kürschner (Text und Fotos)
 
Mehr Erlebnispark als Klettersteig: die 540-Grad-Drehleiter ist nur eines von vielen luftigen Elementen. © Iris Kürschner
Mehr Erlebnispark als Klettersteig: die 540-Grad-Drehleiter ist nur eines von vielen luftigen Elementen.
In Leukerbad lässt sich gut weilen. Welcher Thermalort in der Schweiz hat schon eine so aufregende Kulisse, die sich mit den Dolomiten vergleichen lässt. Man liegt entspannt im wohlig warmen Nass diverser Freiluftpools, lässt sich von Unterwasserdüsen massieren und genießt den Blick auf himmelhohe Wände. Besonders schön ist ihr Anblick in der Dämmerung und unter einem funkelnden Sternenhimmel. Der Blick in die gewaltige Südostwand des Daubenhorns. Die Vertikale, die sich dort hindurch zieht, ist das Nonplusultra für Ferratisten. Vielleicht hat man sie gerade bewältigt oder fiebert ihr entgegen. Für den längsten, schwierigsten und schönsten Klettersteig der Schweiz braucht man starke Nerven und gute Kondition. Von letzterem möglicherweise zuviel, dachten sich die Erbauer einer neuen Route, die im Sommer 2011 durch die Gemmiwand gezogen wurde. Jene Wand, mit der sich der Gemmipass abrupt gen Süden stürzt. Jene Wand, die schon den Passgängern des Mittelalters Angst und Schrecken einflößte und der man heute ganz bequem per Gondel aufs Haupt steigt.

Wackelige Angelegenheit an der Gemmiwand

Erlebnisklettersteig nennt sich das neue Werk, vielleicht um sich von »gewöhnlichen« Klettersteigen abzuheben. Und in der Tat: gewöhnlich ist hier nichts. Nicht einmal mehr französische Klettersteige können da mithalten. Eher schon ein Abenteuerparcours, ein Seilpark oder ein Kletterwald. Aber von Klettern kann hier ohnehin nicht mehr wirklich die Rede sein. Der Zustieg: schlappe zwei Minuten. Dann ist erst mal pure Balance gefragt. Eine 65 Meter lange Seilbrücke bildet das Entrée. Das ständige Umhängen macht die Angelegenheit noch etwas kitzliger. Dumm, wenn einen auch noch Windböen schütteln. Jenseits an der kompakten Wand kann man zumindest kurz durchatmen. Eine Galerie frei baumelnder Holzpflöcke stellt dann die nächste, in Klettersteigen gänzlich ungewohnte Herausforderung dar. Eine amerikanische Comic-Figur steht hier Pate: Woody Woodpecker, ein Specht, der gerne an Holzklötzen hämmert. Es hämmert vor allem das Herz, denn beim ersten Tritt auf den Holzklotz kippt dieser und man muss schnell den anderen Fuß nachziehen.

Am wenig später unter einem Felsdach montierten Trapez wird’s noch eine Idee wackliger. Von einer Schaukel zur anderen, unter den Füßen nichts als Luft. Wer in dieser Passage ruhig umhängt, ist echt abgebrüht. So wie Patrick Grichting. Der turnt hier ganz gelassen durch. Erklärbar, schließlich ist er einer der Erbauer und hat mit fünf Kilo schwerem Bohrgerät stundenlang in der Wand gehangen. »Wir haben etwas über 300 Bügel gebohrt, circa 20 Tritte, über 600 Brieden und und und… Der Steig hätte rund 160 000 Franken gekostet, da aber etliche Stunden in freiwilliger Arbeit von den Mitgliedern der IG Klettersteig geleistet wurden, konnte dieser Preis um ein vielfaches gesenkt werden.«

Himmelsleiter über dem Wallis

Hat man das Trapez hinter sich gebracht, darf wieder etwas geklettert werden. Das tut gut, ist aber viel zu kurz, denn schon steht man vor dem »Stairway to heaven« – im wahrsten Sinne des Wortes. Kann man, freischwebend in der Luft, den Ausblick zu den Viertausendern und hinunter nach Leukerbad genießen? Oder ist man nur auf jede einzelne Sprosse konzentriert? Eine Drehleiter sorgt für ein ständig wechselndes Panorama in ungewöhnlicher Position. Dabei wird man neugierig bestaunt von den Schaulustigen der Aussichtsplattform direkt darüber. Die bekommen hoffentlich nicht mit, wenn einem nach 20 Metern Luftturnerei doch ein bisschen die Kräfte ausgehen. Muss der Rucksack mit dem schweren Fotomaterial auch ständig nach unten ziehen? Unmittelbar danach schließt sich ein Kletternetz an. Auch hier ist das Fortkommen kraftraubend, aber immerhin naht der Zwischenausstieg. Jetzt heißt es: Kraft schöpfen, im Bergrestaurant den trockenen Gaumen befeuchten.

Patrick beruhigt: Der zweite Teil sei weniger anspruchsvoll und mehr Kletterei. Aber zunächst müssen wir im Netz wieder nach unten zur Fortsetzung des Steigs. Hier wartet eine Drahtseilbrücke – sie ist deutlich kürzer als jene am Entrée. Der Fels taucht langsam in den Schatten der Spätnachmittagssonne. Weisshorn, Zinalrothorn, Matterhorn und Dent Blanche grüßen über dem tief eingeschnittenen Rhonetal. Gottlob schaut jetzt niemand mehr von irgendeiner Aussichtsplattform zu und man kann sich ganz dem Fels und dem Panorama hingeben. Hie und da sind die Eisentritte durch Schrauben ersetzt. Auch das erhöht noch mal den Adrenalinkick – ein letztes Mal, dann betreten wir wieder festen Boden unter den Füßen. Ein wahrlich ungewöhnlicher Klettersteig.
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 06/2012. Jetzt abonnieren!
 
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