Hochtouren

Walliser 4000er für Hochtouren-Einsteiger

Gerade im Schweizer Wallis findet man eine Reihe von Viertausendern für Einsteiger. Sie alle besitzen eine einfach zu besteigende Seite, den Normalweg. Doch jeder dieser Gipfel hat auch alpinistisch interessantere Varianten zu bieten.

Walliser 4000er für Hochtouren-Einsteiger
Express-Tour: Dank der Alpin-UBahn von Saas Fee bis Mittelallalin ist der Normalweg aufs Allalinhorn in gut drei Stunden zu schaffen.© Folkert Lenz

Eigentlich müsste es sich um ausgesprochen hässliche Berge handeln! Der Gletscher "gleicht einer Kehrichtdeponie. Alle haben dazu beigetragen, aus diesem Gletscher den höchstgelegenen Abfallhaufen Europas zu machen", schimpfte der Schweizer Autor Maurice Brandt schon vor mehr als zwanzig Jahren. Werbung für die Walliser Viertausender wollte er 1991 im Geleitwort seines Routenbuches offenbar nicht machen. 

Doch was der mittlerweile verstorbene Schreiber verdammt, das macht für eine größer werdende Gruppe von Gipfelsammlern heute gerade den Reiz aus. An welchem Berg sonst kann man mit der U-Bahn bis zum Einstieg fahren? Am Allalinhorn oberhalb von Saas-Fee spuckt die "Metro Alpin" täglich Dutzende von Viertausender-Aspiranten aus.

Und das zu einer Stunde, zu der an anderen hohen Gipfeln der Schweiz traditionell das Tagwerk allemal verrichtet wäre. Aufbruch vor Tau und Tag, nur um die magische 4000er-Linie zu überschreiten? Bei vielen Gipfeln im Saaser Tal ist gerade das nicht nötig. Seilbahnen, Liften und unterirdischen Aufzügen sei Dank.

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In zwei Stunden am Allalingipfel 

Wer sich am späten Vormittag mit der Alpin-U-Bahn von Saas-Fee die 1600 Höhenmeter bis Mittelallalin hinauf katapultieren lässt, der wird in der Regel nicht allein am Gletscherrand stehen. Selbst dann startet noch mancher Führer mit seinen Gästen zum Allalingipfel. Einreihen heißt es in die lange Perlenkette der Seilschaften, die sich über die Firnflanken vom Sommerskigebiet bis hinauf zum Gipfelkreuz legt. 

Wohl zu Recht hat das Allalinhorn den Ruf des "leichtesten Viertausenders der Alpen". Nicht viel mehr als zwei Stunden dauert der Anstieg über den Normalweg, der sich fast gemächlich über Schneehänge zur Spitze schlängelt. Doch aufgepasst vor Gletscherspalten! Erst gegen Ende des Sommers offenbaren sich die tiefen Schlünde an der ausgetretenen Spur.

Und trotz der scheinbaren Zivilisationsnähe sowie der Bergsteigertrauben, die einem vermeintliche Sicherheit vermitteln: Ein Anfängerberg für erste alpinistische Experimente ist das Allalinhorn nicht. So ätzte auch Maurice Brandt in seinem Vorwort: "Andere wiederum, im Glauben, die Berge seien durch die zahlreichen Anlagen zahm und harmlos geworden, wandern auf den Gletschern herum oder machen gar die Gipfel unsicher. Man wird dann Zeuge von Szenen, die manchmal ein tragisches Ende nehmen."

Doch wer den Anstieg ohne Spaltensturz absolviert hat, der muss sich nur noch die letzten Meter über den engen, flachen Gipfelgrat trauen. Dann kann man zufrieden ausschnaufen und den Weitblick über die Walliser Eisriesen hinweg genießen.

Zum Hohlaubgrad - Route mit ein wenig Würze

Zum stählernen Gipfelkreuz des Allalinhorns gelangt man auch über den Hohlaubgrat, der aber ein wenig mehr alpinistisches Knowhow erfordert. Der Weg über diese Variante beginnt tief unten an der Britanniahütte (3030 m). Es empfiehlt sich ein früher Start. Denn dann sind die steilen Firnhänge über dem Hohlaubgletscher noch pickelhart gefroren. Das erleichtert die Arbeit mit den Steigeisen.

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Nach der Blauen Stunde und dem Sonnenaufgang hat man dann vielleicht schon die Felsstufe erreicht, die der Route die gewollte Würze gibt. Es gilt hier ein paar Mal fest zuzupacken, dann ist die Schlüsselstelle auch schon überwunden. "Das Gebiet bietet sich folglich Alpinisten an, welche über die Konstitution und die technischen Fähigkeiten verfügen, die es für die Begehung dieser Hochgebirgswelt braucht; im allgemeinen sind es erfahrene, zumindest ausdauernde Berggänger", lauten die Mahnungen Brandts an die Rekordsucher im Wallis.

Alphubele - der Kitzel der Eisnase

Ausdauer ist zumindest am Alphubel gefragt. Mit seinen 4206 Metern überragt er die Viertausender-Linie schon um ein ganz ordentliches Stück – und das merkt man auch gleich an der Länge des Normalweges. Vier bis fünf Stunden gibt der Führer dafür an. Und wer diese Zeit erreichen will, der sollte beim mehr als 1300 Höhenmeter umfassenden Anstieg von Längflue aus nicht allzu viele Pausen machen.

Dabei ist der Ausgangspunkt bequem zu erreichen, ohne Muskelschmalz zu verbrauchen. Die Spielboden-Kabinenbahn von Saas Fee hievt die Gipfelanwärter in zwei Sektionen auf 2867 Meter (nicht so im Sommer 2012). Vom Seilbahnausgang bis zur Hüttentür ist es keine Minute. Knifflig beim Normalanstieg auf den Alphubel waren in den vergangenen Jahren immer wieder die Spalten. Bei frühem Aufbruch garantieren zwar hartgefrorene, dünne Schneebrücken noch einen sicheren Übergang. Aber nach einigen sportlichen Sprüngen stellt sich der vorausschauende Alpinist die Frage, ob die Passage denn auch am Mittag bei weichem Schnee noch zu machen ist.

Vorerst ist aber im Westkessel des Feegletschers zu klären, ob der weitere Weg über die ausgelatschte Trasse führen soll oder ob man die kniffligere Route über den Südostgrat wählt. Weit oberhalb auf dem schmalen Firnrücken des Grates sind schon zwei Seilschaften sichtbar, welche die legendäre Eisnase am Alphubel angehen. Wie eine urzeitliche Riesenechse zeichnet sich ihre Silhouette gegen den orangefarbenen Morgenhimmel ab.

Der Nervenkitzel lockt: Mehr als 80 oder 100 Meter hoch ist der steile Eisaufschwung nicht, der die Schlüsselstelle darstellt. Mit beherztem Steigeisen-Einsatz sind auch kleine Blankeisplatten schnell überwunden. Die weiteren Schritte über das plateauähnliche Gipfeleisfeld: nur noch Formsache. Ein mächtiges Holzkreuz markiert den höchsten Punkt des Alphubels, den man sonst in der Schnee-Ebene fast übersehen könnte.

Dort endet auch die breite Spur des Normalwegs, der sich in zackigen Serpentinen durch den oberen Teil der verfirnten Ostflanke windet. Diese einfachere Trasse zeigt jetzt die Abstiegsrichtung an. Bleibt nur noch, sich ein Herz zu nehmen und so forsch wie klug die Spaltenzonen gen Tal zu passieren.

Siegreich über den Südostgrat

Um das 4000er-Trio im Rahmen einer kurzen Saaser Tourenwoche voll zu machen, ist wahrlich kein Sprint auf die nächste Hütte nötig. Denn abermals per Gondel können sich Bergsteiger von Saas-Grund noch spät am Nachmittag hinauf zur neuen Hohsaashütte heben lassen. Die dortige Panoramaterrasse bietet einen fast 270 Grad umfassenden Rundblick in die fotogene Nordwestflanke der Weissmies.

Ob Maurice Brandt einen Capuccino im Abendlicht beim Routenstudiumwohl verschmäht hätte? Massenstart dann auch von Hohsaas am nächsten Morgen. Noch im Fastdunkel zerren Bergführer ihre Kunden am straffen Seil über die Ebene des Triftgletschers. Sie wollen die Ersten am Fuße des Westgrats sein, dessen Rücken einen immer steiler werdend in die Höhe führt. Heikel noch mal die Traverse unterhalb der Gipfeleiskuppe. Sauber müssen die Steigeisenzacken gesetzt sein, ein Straucheln wäre fatal. Ruhiger kann die Atmung auf den letzten Metern werden. Denn selten ist man Sieger beim Wettrennen an der Weissmies (4017 m).

Am höchsten Punkt warten im fahlen Morgenlicht schon einige Alpinisten, die über den Südostgrat aufgestiegen sind. Das Finale der abwechslungsreichen Route: ein messerscharfer Firngrat mit gruseligen Tiefblicken! Zuvor vom Zwischbergenpass aus anregende leichte Felskletterei im rot-braunen Gneis am Blockgrat. Die anspruchsvollere Variante auf die Weissmies allerdings kann man sich nicht hinaufmogeln. Ein dreieinhalbstündiger Anstieg zur Allmageller Hütte ist am Vortag nötig.

Für den komfortorientierten Express-Bergsteiger mag das nichts sein. Maurice Brandt hätte die Routenwahl wohl gefallen – zumindest legen das seine abschließenden Worte im alten Wallis-Führer nahe: "Möge dieses Werk allen Bergbegeisterten (…) neue Horizonte eröffnen. Sie werden die Einsamkeit der Berge und die Möglichkeit, einen Gegenpol zu unserem lärmigen und oft ziellosen Alltag zu finden, neu entdecken!"

Eigentlich doch gar nicht so hässlich, diese Walliser Modegipfel!