Hüttentour in der Schweiz | BERGSTEIGER Magazin
Von Hütte zu Hütte im Göschenertal

Hüttentour in der Schweiz

Über dem Göschenertal im Schweizer Kanton Uri lässt sich eine Handvoll Hütten über originelle alpine Routen verbinden – eine Hüttentour in der Schweiz, über Stock und Stein für gehobene Ansprüche. Von Mark Zahel (Text und Bilder)
 
Nur über eine Kraxeleinlage erreichbar: die Bergseehütte hoch über dem großen Göscheneralpsee © Mark Zahel
Nur über eine Kraxeleinlage erreichbar: die Bergseehütte hoch über dem großen Göscheneralpsee
Eines wird sofort klar, wenn man die Göschener Bergwelt in Augenschein nimmt: Lieblich ist anders. Hier strahlt die Landschaft unvermittelt erhabene Wildheit aus, wirklich stotzige Gipfel, wie der Schweizer zu sagen pfl egt, prägen das Bild. Die Materie heißt Granit – ein Gestein, das ja nicht gerade für sanfte Formen bekannt ist. Freilich weiß man auch, dass es mit dem herkömmlichen Wandern im Granit keine einfache Sache ist, dass die Bergpfade rau und beschwerlich sind und hier ohnehin eher die Spezialisten fürs Steilere zum Zug kommen. Unweigerlich macht sich eine Mischung aus Spannung und Skepsis breit. Wie hoch werden die Hürden gesteckt sein?
Wanderkarte Hüttentour Göschenertal Schweiz

Fünf liebenswerte Hütten rund ums Göschenertal 

Salbit, Voralp, Bergsee, Chelenalp und Damma: Fünf Hütten, fünf liebenswerte Bergnester, die der Schweizer Alpenclub rund ums Göschenertal verteilt hat, und zwar ursprünglich als Basislager für Hoch- und Klettertouren auf profi lierte Gipfel wie Salbitschijen, Sustenhorn oder Dammastock. Erst viel später wurde die Idee geboren, von einer Hütte zur nächsten zu wandern, sprich ein regionales »Alpentrekking« zu absolvieren. Spannungsbögen bauen sich während der mehrtägigen Tour immer wieder neu auf, die Perspektive verschiebt sich sukzessive, nach und nach wird man immer vertrauter mit der anfangs so abweisend anmutenden Bergwelt und kommt verborgenen Winkeln auf die Spur. Mit anderen typischen Hüttentreks ist die Göschener Runde nur bedingt vergleichbar, bewegt man sich doch die längste Zeit nicht auf normalen Bergwegen, sondern auf sogenannten »alpinen Routen«. Diese Besonderheit, die nur in der Schweiz explizit ausgewiesen wird, greift auf weiß-blau-weiße Markierungen zurück und führt häufig mehr als Leitlinie denn als richtige Trasse durch hindernisreiches Gelände. Die ein oder andere alpine Schikane bleibt nicht aus. Zu gewagt? Gelegenheitswanderer dürfen vorher ruhig noch etwas üben. Routinierteren liegt ein Schlaraffenland vor Füßen.

Hüttenwandern am Heidelbeerteppich entlang

Immerhin: Das erste Bergauf zur Salbithütte ist zum Eingewöhnen ideal. Im Spätsommer versüßen Heidelbeerteppiche den Zustieg. Der Name »Salbit« besitzt vor allem in Kletterkreisen Klang – der zugehörige Schijen gilt als herausragendes Ziel im Granit. Weil aber nicht allein die »steile Zunft« hier ein Tummelfeld finden soll, initiierte Hüttenwart Hans Berger eine Verbindung zur Voralphütte und damit den Anschluss seines Refugiums an das hochalpine Wegenetz im Göschenertal. Besonders die Einrichtung einer 90 Meter langen Hängebrücke hat für Furore gesorgt! Zuvor ließ sich nur über einen »Kettenweg« das Hindernis des Mittwaldcouloirs – ein kapitaler Schluchteinriss, der aus den Wänden des Salbitschijen quasi ins Bodenlose abbricht – überlisten: anspruchsvoll und bestimmt nichts für Zartbesaitete. Seit 2009 wird das Couloir von einer spektakulären Hängebrücke gleichsam in Himalayamanier überspannt und damit beinahe zur spielerischen Einlage.

Es schwankt und schaukelt zwar ein wenig, und vor der gähnenden Tiefe kann (besser: sollte) man seine Augen nicht verschließen, die »Mutprobe« ist aber eigentlich narrensicher. Die Brücke stammt ursprünglich vom Trifthüttenweg im Berner Oberland, musste dort jedoch rückgebaut werden und fand jetzt am Weg zum Salbitschijenbiwak ihre neue Bestimmung. Freilich war mit ihr die angepeilte Verbindung zur Voralphütte noch längst nicht komplett. Im Nachbarcouloir der Spicherribichelen wird echtes Klettersteigfeeling vermittelt: Eine fast senkrechte 50-Meter-Leiter strapaziert womöglich weitaus mehr die Nerven als die Traverse der Hängebrücke. Da zeigt sich, dass dieser Übergang nach wie vor eine sehr ernsthafte Sache ist. Wo man sich früher mühsam und steinschlaggefährdet durch Rinnen talwärts zur Alp Horefelli tasten musste, erreicht man nun eine fabelhafte Hochterrasse, der man unbeschwert folgen kann, bis die Trogstufe später einen Durchschlupf zur Voralphütte gewährt. Die Aussicht auf das formschöne, von großen Gletschern umgarnte Sustenhorn macht das Wanderglück vollkommen.

Blockfeldchaos mit System am Göscheneralpsee

Kaum weniger Spannung verspricht der folgende Übergang. Rauschende Wildbäche, Moränenwälle und Gletscherschliffe, chaotische Blockfelder, die doch kein Zufallsprodukt sind, sondern geheimen Naturgesetzen folgen, formieren eine Urlandschaft, in der man als Mensch bescheiden wird. Kein materieller Wert zählt hier irgendwas, nur die eigene Physis sowie eine mentale Bereitschaft, sich gefangen nehmen zu lassen, sich mit der Natur zu verbünden. Zwei Gratrippen sind bis zur Bergseehütte zu überschreiten; besonders die zweite hat es einigermaßen in sich. Wieder gilt es ein wenig zu kraxeln, zu balancieren. Auf der Hütte, in prächtiger Balkonlage neben dem Bergsee und hoch über dem großen Göscheneralpsee, lässt sich auftanken und ein weiträumiger Blick genießen. Ob dabei vom gegenüberliegenden Planggenstock stets besondere Notiz genommen wird? Immerhin hoben dort vor einigen Jahren einheimische »Strahler« einen Megaschatz. Die Region gilt als Mineraliengebiet ersten Ranges.

Auf geht’s in den innersten Winkel des Chelenalptals! Zu etwas Besonderem macht diesen Abschnitt neben der Routenführung entlang einer naturgegebenen Geländeterrasse die prachtvolle Schau auf die stark vergletscherte Dammastock-Kette, in ihrer Gesamtfront als »Winterberg« bezeichnet. Nirgends ragen die Urner Alpen in größere Höhen auf! Es ist aber wohl auch das vergnügte Springen von Block zu Block, dem freilich nicht alle Wanderer gleichermaßen etwas abgewinnen können. Man muss halt wissen, auf was man sich hier einlässt …

Im Bann des Winterbergs

Dabei wird’s auch auf der dritten Etappe noch Herausforderungen geben. Von der abgelegenen Chelenalphütte im Talschluss zieht man sich angesichts der Barrieren aus Fels und Eis erst einmal ein Stück zurück. Schon bald geht es aus dem Hochtal jedoch wieder die Biege bergwärts. Sofern man nicht jenseits der Chelenreuss, am Abfl uss des Rötifi rns abrupt ausgebremst wird! Denn ohne Steg ist hier unter Umständen Schluss mit lustig. Es ist nicht ungewöhnlich, dass es erst nach einigen gescheiterten Sprungversuchen gelingt, den reißenden Wildbach doch noch zu überlisten. Dieser zieht durch bewachsene Platten zuweilen ausgesetzt empor, quert dann weit unter dem Moosstock entlang und muss zu guter Letzt noch gefinkelt um einige Hindernisse lavieren – eine Alpinroute im besten Sinne, urtümlich und ein bisschen verwegen, aber nicht dramatisch schwierig. Eine Brücke über den Bach könnte freilich schon spendiert werden. Bei der niedlichen Dammahütte ist nochmals großes Kino angesagt: Der »Winterberg « liegt jetzt zum Greifen nah. Die Hütte selbst ist seit ihrem Bau 1914 unverändert. Sie wurde als SAC-Muster für die Berner Landesausstellung konzipiert und anschließend zum Nutzen der Bergsteiger unterhalb des Dammastocks aufgestellt. Fein lässt es sich hier rasten, in der Sonne räkeln, bevor die Tour Richtung Göscheneralpsee schließlich ihren Ausklang findet. Drei Tage im Urner Granit sind wahrlich kaum zu toppen.

Die Göschener Hüttenrunde im Überblick:

Charakter: Anspruchsvolles Hüttentrekking, größtenteils auf markierten Alpinrouten in blockreichem Granitterrain. Streckenweise ohne echte Wegtrasse, mitunter ausgesetzt und vereinzelt auch gesicherte Kletterpassagen. Insgesamt nur für bergerfahrene Wanderer mit ausgeprägter Trittsicherheit Schwierigkeit: Nach der SAC-Wanderskala wiederholt bis T4, weithin T3
Dauer: Bei gut ausgefüllten Etappen genügen 3 Tage, bei Übernachtung auf jeder Hütte bis zu 6 Tage ausdehnbar, konditionell also variabel
Besondere Ausrüstung: Für den Übergang Salbit-Voralp wird offiziell Klettersteigausrüstung empfohlen (kann auf der Hütte gemietet werden).
Ausgangspunkt: Parkplatz P1 »Torbrücke« (1195 m) bei Ulmi im vorderen Göschenertal
Endpunkt: Hotel Dammagletscher (1783 m), am Ende der Straße zum Göscheneralpsee
Öfftl. Verkehrsmittel: Postauto vom Bahnhof Göschenen bis zur Göscheneralp
Hütten: Salbithütte (2105 m), Mitte Juni bis Mitte Oktober, Tel. 00 41/41/8 85 14 31; Voralphütte (2126 m), Mitte Juni bis Ende September, Tel. 00 41/41/8 87 04 20; Bergseehütte (2370 m), Anfang Juni bis Ende Oktober, Tel. 00 41/41/8 85 14 35; Chelenalphütte (2350 m), Mitte Juni bis Mitte Oktober, Tel. 00 41/41/8 85 19 30; Dammahütte (2439 m), Anfang Juli bis Ende September, Tel. 00 41/41/ 8 85 17 81
Karte: Swisstopo, 1:50 000, Blatt 255 T »Sustenpass«
Literatur: Mark Zahel »Hüttentreks Schweiz«, Bruckmann Verlag, 2011
Etappenverläufe:
  • 1. Tag: Torbrücke – Regliberg – Salbithütte – Salbitbrücke – Salbitschijenbiwak – Horefelliboden – Voralphütte; 1600 Hm Aufstieg, 670 Hm Abstieg, 7 Std.
  • 2. Tag: Voralphütte – Horefellistock – Bergseelücke – Bergseehütte – Vorder Mur – Hinter Mur – Chelenalphütte; 1020 Hm Aufstieg, 800 Hm Abstieg, 6½ Std.
  • 3. Tag: Chelenalphütte – Hinter Röti – Moosstock-Traverse – Dammahütte – Göscheneralp/ Hotel Dammagletscher, 750 Hm Aufstieg, 1320 Hm Abstieg, 5½ Std.
Tipp: Wenn man eine längere An- und Abreise einkalkulieren muss, plant man am besten 4 Tage und übernachtet in der Salbit-, Bergsee- und Dammahütte.

Die einzelnen Etappen im Detail:

Die 1. Etappe: Salbit-Höhenweg
Die 2. Etappe: Von der Voralphütte zu Chelenalphütte
Die 3. Etappe: Wanderung zur Göscheneralp

Mark Zahel
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 04/2013. Jetzt abonnieren!
 
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